Aus Sicht von Menschen mit Demenz

Menschen mit Demenz wollen nicht als Krankheitsfälle gesehen und auf dem sozialen Abstellgleis vergessen werden. Sie bleiben ein Leben lang Persönlichkeiten mit Vorlieben, Eigenheiten und Gefühlen, wie jede/r von uns. 

 

Was Demenz bedeutet, wird vorrangig medizinisch beantwortet. Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns. Sie führt zum Verlust geistiger Fähigkeiten: Denken, Sprechen, Orientieren, Entscheiden und selbstständiges Leben werden zunehmend beeinträchtigt.

Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene Krankheitsformen. Die häufigste und bekannteste Form ist die Alzheimererkrankung. Von einer Demenz sind vorwiegend hochaltrige Menschen über 80 betroffen, aber auch in jüngeren Jahren kann sie auftreten. Der Verlauf kann sehr unterschiedlich sein und ist abhängig vom Alter, der gesundheitlichen Verfassung, dem Bildungsgrad, der sozialen und wirtschaftlichen Lage etc. Die meisten Demenzerkrankungen sind nicht heilbar und können nicht gestoppt werden. Medikamentös kann der Verlauf etwas abgeflacht und ausgedehnt werden. Eine fachärztliche Abklärung sollte möglichst früh erfolgen, zumal es behandelbare Formen gibt und der Verlauf positiv beeinflusst werden kann.

 

Zentral ist auch die Perspektive der An- und Zugehörigen von Menschen mit Demenz. Durch die Begleitung von Betroffen über mehrere Jahre sind sie großen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt. Sie können die Verhaltensveränderungen von Menschen mit Demenz häufig nicht verstehen und auch nur schwer akzeptieren. Zudem klagen sie über zu wenig Unterstützung und brauchen mehr Aus- und Erholungszeiten. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Frauen, die diese gesellschaftlich notwendige Arbeit unbezahlt und im Verborgenen leisten. Ohne sie würde unser Gesundheits- und Sozialsystem zusammenbrechen, Anerkennung bekommen sie dafür aber kaum. Betreuung und Pflege sollte mehr als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden werden, die auf vielen Säulen ruht und gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt wird.

 

Ungesehen und ungehört ist die Perspektive der Menschen mit Demenz. Über die Betroffenenperspektive ist nur wenig bekannt. Sie werden nicht nach ihrer Sicht gefragt und nicht in Entscheidungen zu ihrer Personengruppe miteinbezogen. So sehen wir auch nur die Beeinträchtigungen auf persönlicher Ebene von Menschen mit Demenz, die sich im Verlust der geistigen Fähigkeiten zeigen. Für Betroffene wiegen die sozialen Beeinträchtigungen durch die Demenz jedoch weit mehr.

Demenz ist noch immer ein Stigma; ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, gleichbedeutend mit Verlust des Verstandes und Geisteskrankheit*. Dadurch werden die Betroffenen auf einen einzigen Makel reduziert – den geistigen Abbau.

Betroffene schützen sich daher vor der Zuschreibung als „Demenzpatient“ und versuchen die Beeinträchtigungen so lange wie möglich zu verbergen. Ihre Einschränkungen nehmen sie, entgegen der weitläufigen Annahme, vor allem im anfänglichen Verlauf sehr wohl war. Gegen ihre Schwächen sind sie machtlos, weshalb sie sich auf ihre verbliebenen Fähigkeiten und den Erhalt der eigenen Persönlichkeit konzentrieren und versuchen, ihr Leben nicht durch die Krankheit bestimmen zu lassen.

 

Demenz ist eine Frage der Perspektive. Je nach Sichtweise werden verschiedene Ansichten, Ansprüche und Bedürfnisse laut. In einer demenzfreundlichen Gesellschaft gehen Menschen mit Demenz nicht verloren und An- und Zugehörige werden nicht allein gelassen. Bildung sensibilisiert, qualifiziert und vernetzt – Qualitäten, von denen wir im Demenzbereich nicht genug bekommen können.

 

Aus Sicht von Menschen mit Demenz als Video-Beitrag

 

Der Autor, Raphael Schönborn, ist Geschäftsführer von PROMENZ, einer Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Demenz in Österreich, ist im Bildungs-, Projektentwicklungsbereich und als Berater tätig.

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